Die Londoner Skyline vom Greenwich Park aus gesehen, Großbritannien 2018.

Wenn es im November weitergeht, werde ich ein Jahr und acht Monate in London gelebt haben. Fast zwei Jahre an einem Ort, der mir einst fremd war, in einem Land, dass ich bis dato nicht besonders kannte. Nach zwei Jahren hat sich nicht nur meine Ortskenntnis, mein Landesverständnis, sondern auch mein Leben komplett verändert. Nach London zu kommen, war für mich eine der wichtigsten Stationen meines Lebens und auf meiner Dauer-Weltreise und ich bin sehr dankbar, dass ich die Gelegenheit bekommen und genutzt habe, denn alles geschieht aus Gründen – nichts ist zufällig. Mein gesamtes Leben hat sich verändert und ich habe mich weiterentwickeln können, denn mehr als ein Jahr in einem fremden Land zu leben prägt ungemein. Und auch, wenn es nicht so scheint: Großbritannien ist zwar ein unmittelbarer Nachbar, dennoch liegen Welten zwischen den Ländern. Viele Dinge waren hart, viele unverständlich – doch im Endeffekt ein wichtiger Schritt für meinen Lern- und Reifeprozess. Großbritannien wird für mich immer ein besonderes Land sein, denn es ist tatsächlich wahr: die ungeplantesten Abenteuer sind die geilsten.  

Aller Anfang ist schwer: der holprige Start

Für mich war es am Anfang in London tatsächlich etwas schwer. Zum einen, weil ich noch die Trennung meines Ex-Freundes verarbeiten musste, den ich zusammen mit allem Unglück in Australien gelassen hatte. Australien war für mich leider keine so tolle Erfahrung, da ich am Ende ohne Job und ohne Geld dastand und meinen neuen Partner sehr vermisste, der kein zweites Working Holiday Visum mehr bekommen hatte. Für mich war es die beste Entscheidung, Australien vorläufig zu verlassen, um einfach wieder klarzukommen und einen Lebensabschnitt hinter mir zu lassen. Das ganze Chaos der letzten Monate hatte mir zugesetzt und ich freute mich auf ein bisschen mehr Ruhe und Sicherheit, denn in London erwartete mich nicht nur mein geliebter Mann, sondern auch Entspannung und mietfreies Wohnen. Und das in eine der teuersten Städte der Welt! Doch auch, wenn ich die ersten vier Wochen komplett zur Entspannung nutzte und dann erst meinen Blog online stellte, bevor ich den ersten, richtigen Vollzeitjob meines Lebens antrat, war es schwer für mich, hier anzukommen.

Die britische Kultur ist ganz anders als das Leben im restlichen Europa. Was erst einmal klar sein sollte, fühlt sich dann doch völlig anders an, denn zwischen Theorie und Praxis liegen bekanntlichermaßen Welten. Natürlich war es fühlbar, wieder in Europa zu sein, doch die Mentalität in Großbritannien ist eine ganz andere. Menschen sind zwar viel freundlicher, aber tief im Innern viel kühler und vor allem eines: desinteressiert. Jeder lebt sein Leben hinter seinen eigenen Mauern und da ist es nicht nur schwierig, einen Blick hinter diese zu erhaschen, sondern auch hinter diese Mauer zu gelangen. Die unterkühlte und distanzierte Art ist nicht so mein Ding, weswegen es am Anfang für mich schwierig war, Anschluss zu finden. Ich verbrachte viel Zeit mit seinem Partner, seinen Freunden und widmete mich meinem Blog, Buch und meinem eigenen Wachstum. Natürlich habe ich in der Zeit auch London kennen und lieben gelernt, denn die Stadt ist wirklich fantastisch und einzigartig!

London wird immer einen Platz in meinem Herzen haben – und ein Stückchen Heimatgefühl.

Die Früchte sind reif: das Wachsen hat sich gelohnt

2018 war für mich bisher ein sehr erfolgreiches Jahr. Alles, was mir wichtig war, hat geklappt. Ich habe meinen neuen Job bei Booking.com angetreten, was mir endlich ein für meine Verhältnisse gutes Einkommen und somit eine gewisse Planungssicherheit für die Weiterreise verschafft hat. Ich habe dadurch nicht nur meinen ersten richtigen Bürojob angefangen, sondern konnte mit neuen Herausforderungen wachsen und Verantwortungen übernehmen, für die ich vorher nicht bereit war. Ich habe unglaublich viele tolle Menschen aus allen Ländern dieser Erde kennengelernt und so gemerkt, was mir eigentlich wichtig ist im Leben. Ich bin seit Jahresbeginn viel mehr auf Achse, da ich inzwischen sehr viele Menschen kenne und ich gerne unterwegs bin, um neue Erfahrungen zu sammeln. Die meisten Leute kenne ich durch meinen Job, da wir einfach eine riesige Firma sind und über 700 Mitarbeiter mit mir am Canary Wharf arbeiten, jedoch lauern überall nette und aufgeschlossene Bekanntschaften, wenn Du einfach heraustrittst aus der Komfortzone und Dich ins Leben stürzt.

Mit meiner Zeit in London wurde mir auch klar, dass ich unbedingt in einer Stadt wohnen möchte, die größer ist als Berlin und vor allem eines: internationaler. Ich genieße es sehr, Freunde aus aller Welt zu haben und verschiedene Einflüsse der Kulturen der Welt zu haben. Das bringt mich nicht nur näher zu den Menschen, sondern hilft mir auch, sie besser zu verstehen. Ich liebe meine Freunde aus Israel, Schweden, dem Congo oder aus Indien – und jeder einzelne hat seine Geschichte, seinen kulturellen Background und Einflüsse. Für mich ist es eine der schönsten Sachen der Welt, verschiedene Kulturen zu fühlen und kennenzulernen. Meine internationalen Freundschaften haben mich sehr verändert und ich finde es umso schlimmer, dass die Menschen mehr und mehr nationalistisch und rassistisch werden. Eine AfD zu wählen ist für mich absolut unverständlich und ich wünsche den Menschen, die sich so sehr fürchten, dass sie irgendwann die Wilden kennenlernen und merken, dass wir alle gleich sind – und dass es eine Bereicherung ist, in einer internationalen Stadt zu wohnen.

Dafür lebe ich: um zu reisen und die Welt mit allen Wundern zu erkunden.

Nach der langen Zeit in London habe ich auch gemerkt, wie ich mich nach und nach an die britische Kultur angepasst habe. Ich habe gespürt, wie hart Integration ist, und dass diese nicht von heute auf morgen oder nebenbei geschieht. Integration muss gewollt werden und kann nie zu 100% gelingen, da ich immer Deutsch sein werde – auch, wenn ich das vielleicht gar nicht will. Doch wenn ich zu einer Gesellschaft dazugehören will, muss ich mich anpassen. Das habe ich nach und nach getan und sogar aus den eher unangenehmen Seiten der britischen Kultur – der Distanziertheit und Unterkühltheit – habe ich viel gelernt. Ich sehe inzwischen viele Dinge nicht mehr so eng und bevorzuge den freundlichen Smalltalk anstelle von hitzigen Gesprächen mit Fremden oder generell seltsamen Gesprächen in der Öffentlichkeit. Das Leben hinter den dichten Vorhängen hat mir geholfen, auch meinen Vorhang ein bisschen mehr zuzuziehen und Privatsphäre als Privileg anzusehen. Ich kann sagen, dass ich viel entspannter geworden bin und auch ein bisschen reservierter, wobei mir das nicht schadet, da ich eigentlich ein sehr offener Mensch bin und mein Herz auf der Zunge trage – ein bisschen zu sehr. Wo der Begriff awkward für mich früher nicht existierte, ist heute ein neues Empfinden entstanden, was mich öfter schweigen und beobachten lässt.

Eines ist klar: meine Zeit in London hat mich gelehrt, dass meine Entscheidung, nicht nach Deutschland zurückzukehren, die richtige war. Zwar liebe und vermisse ich Berlin und meine Freunde sehr, doch ist das Leben dort nicht für mich gemacht. Ich brauche mehr Input, eine größere Stadt, Internationalität und vor allem Erlebnisse, die ich noch nie gemacht habe. Ich liebe es, Dinge zu erfahren, die ich nicht kenne und ich liebe die Herausforderung und das Neue. Für mich war meine Zeit im UK eine wahre Offenbarung für das, was ich in meinem Leben will – in jeder Hinsicht. Ich bin gespannt, welche Lektion ich in den letzten fünf Monaten noch lernen werde… ich bin offen für alles. Und auch, wenn es mir am Ende an nichts außer Zeit gefehlt hat, war mir doch immer eines klar: diese Art von Leben ist zwar bequem und bietet mir alles für den schnellen Genuss, aber hat keine Tiefe und ist für meine Lebensträume leider irrelevant. Ich habe wieder einmal gelernt, dass ich nicht bereit bin, mich niederzulassen. Vielleicht irgendwann. Aber nicht jetzt.

Die malerischen Cotswolds haben mich in England besonders fasziniert.

Natürlich ist es schön, eine schick eingerichtete Wohnung und ein geregeltes Einkommen zu haben. Für eine Firma zu arbeiten, die einem alles schenkt und gut umsorgt. Viele Freunde zu haben und in einer Weltstadt zu wohnen, die ihresgleichen sucht. Bestimmt können auch die ein oder anderen Sachen der Bucketlist von einem Ort abgehakt werden. Jedoch ist der beliebteste Hafen der Illusion, den wir Sicherheit nennen, einfach nicht richtig für mich. Ich möchte die Welt sehen, verschiedene Kulturen fühlen, Menschen aller Art kennenlernen; mehr Flaggen sammeln und auf meinen Backpack nähen. Ich möchte ans Ende der Welt reisen, einmalige Lebensereignisse mitnehmen und meinen Lebenstraum leben. Ich will mit dem Auto durch Wüsten brettern, die Ozeane betauchen und Gipfel besteigen. Ich will mit Menschen in Indien tanzen, auf Bali zu Buddha beten und in Kanada Skilaufen. Ich muss so viel noch machen, was mich von einem Ort fernhält. Ja, ich war in fast 40 Ländern auf sechs Kontinenten, aber wusstest Du, dass die Welt 196 Länder hat? Zwar muss ich nicht jedes bereisen, aber die Liste ist schon noch sehr lang. Und warum sollte ich für jemand anderen leben, wenn nicht für mich selbst? Ich entscheide. Und meine Entscheidungen sind in der Regel sehr beständig. 2015 habe ich mich entschieden, alles hinter mir zu lassen, um zu reisen. Und glaub mir, ich würde mich auch nach drei Jahren immer wieder dafür entscheiden!

Wo hast Du mal längere Zeit gelebt?  

Deine

Hier geht es zu den anderen Teilen der Serie:

Leben in Großbritannien I: die Eigenarten der britischen Kultur

Leben in Großbritannien II: die attraktivsten Reiseziele

Leben in Großbritannien III: Unterwegs im lebendigen East End von London

Kommentare:

  • Ines S.

    22. Juli 2021

    Nur kurz für 3 Monate lebte und arbeitete ich auf Teneriffa, mein Arbeitgeber hat dort eine Filiale. Die beste Zeit meines Lebens, aber auch eine Herausforderung bezogen auf die Sozialversicherung.

    Antworten

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