London im Sonnenuntergang vom Shard aus (2021).

In London oder gar im UK allgemein zu leben, war eigentlich nie mein Plan. Doch wie das Leben so spielt, landete ich hier im März 2017 nach 16 Monaten Weltreise, um mir Geld für den weiteren Verlauf dieser anzusparen. Angedacht waren ursprünglich sechs Monate Arbeiten mit mietfreiem Wohnen in einem Familienhaus meines Ex-Freundes. Nun ist Sommer 2021 und ich bin immer noch hier, denn aus sechs Monaten arbeiten wurden dann tatsächlich ein Jahr und acht Monate. Ich reiste für ein halbes Jahr durch Afrika, Südamerika und in die Antarktis und fand meinen Weg dann wieder nach London, da ich mich kurz zuvor in meinen südafrikanischen Partner verliebt und zu einer Beziehung zugestimmt hatte. Außerdem hatte ich noch keine Lust, nach dreieinhalb Jahren nach Berlin zurückzukehren, weswegen ich im Frühsommer 2019 wieder in London landete. Mit meinem Backpacking-Trip eingerechnet bin ich nun schon viereinhalb Jahre in London und ich werde mindestens noch zwei bleiben, da die Vorteile den Nachteilen überwiegen. Doch ist das Leben in London nicht so, wie es immer dargestellt oder geträumt wird. Es ist so anders! Erfahre in diesem Artikel, wie es sich wirklich in London lebt.

In London leben: das sind die positiven Seiten

Das Lebensgefühl am Puls der Zeit

Seit ich in London lebe, fühle ich mich am Puls der Zeit von Europa. Alles, was neu ist, kommt zuerst nach London. Die britische Metropole informiert, diktiert und gibt vor. Neue Trends, Musik, Filme oder allgemeine Neuigkeiten aus dem Leben schwappen von den USA aus direkt hier hin. Alle Künstler:innen der Musik-, Theater- und Filmbranche kommen immer nach London, was bedeutet, dass Du wirklich jede Rockband, jeden Solokünstler, jedes Musical, jedes Theaterstück und jede Variete-Aufführung sehen kannst.

Ich habe in London in den letzten viereinhalb Jahren alle Künstler:innen gesehen, die ich in Deutschland nie sehen konnte und war in über zehn Musicals und Shows. 2018 habe ich endlich Britney und die Backstreet Boys gesehen, 2017 war ich bei Korn und 2020 bei Slipknot. 2022 darf ich Dita van Teese mit ihrer zauberhaften Burlesque-Show sehen und im Sommer Green Day und Fall Out Boy. Auch die Clubszene lockt alle bekannten Techno- und Psytrance-DJs an, die diese Erde kennt. Ich bin zwar nicht mehr in der Partyszene anzutreffen, jedoch ist es einfach geil, die Option zu haben.

Interessant finde ich auch die Art von Nachrichten, die ich täglich auf BBC lese. In der britischen Zeitung stehen Informationen bereits einen Tag vor dem Erscheinen in Deutschland; außerdem legt sich der Fokus auf die gesamte Welt und nicht nur auf Europa, weswegen ich nun auch genau weiß, was in Afrika, Australien und auch in Asien tagtäglich geschieht. Vieles davon wird in den deutschen Medien überhaupt nicht berichtet, was einfach schade ist.

London nach Sonnenuntergang vom Shard aus (2021).

Die Karrierechancen sind besser als in Deutschland

Mit großer Sorge habe ich schon seit der Schulzeit die schrumpfenden Gehälter in Deutschland beobachtet – doch dass es so schlimm wird, hätte ich nie gedacht. Ich hatte ursprünglich mit elf Jahren entschieden, Journalistin zu werden und richtete mein gesamtes Leben danach aus: Studium der Geisteswissenschaften, Praktika, Weiterbildungen auf eigene Kosten noch vor dem Ende der Uni. Dann kam mit den steigenden Lebenshaltungskosten und sinkenden Reallöhnen die Einsicht, dass Journalisten:innen heute viel weniger wert sind. Wo ich 2005 noch von einem Einkommen von 2500-3000 Euro netto gelesen hatte, sind es heute in vielen Fällen in Ostdeutschland und Berlin unter 2000 Euro. In meinen Praktika habe ich immer nach Gehältern gefragt und das höchste, was ich gehört hatte, lag bei 1800 Euro für eine Redakteurin mit 4 Jahren Berufserfahrung. Ich habe das Gefühl, dass mein Bachelorabschluss in Deutschland nichts mehr wert ist und bin traurig darüber, weil ich so hart geschuftet habe, um diesen zu erlangen. Ich habe nebenbei viereinhalb Jahre bei McDonalds als Studentenkraft gearbeitet und zusätzlich gemodelt, um alle Kosten zu decken und nach dem Studium auf Weltreise gehen zu können. Dafür dann 1800 Euro netto zu erhalten, wo manche Elektriker schon mehr verdienen, erschien mir wie blanker Hohn.

Im UK, ganz besonders in London, laufen die Uhren anders. Hier wird es noch geschätzt, wenn Du einen Bachelor- oder gar Masterabschluss mitbringst, da ein durchschnittliches Studium bis zum Master im UK 60.000 Pfund kostet und somit nicht jeder einfach direkt auf die Uni geht. Studienabsolventen:innen bekommen höhere Gehälter und steigen schneller in höhere Positionen ein. Noch dazu gibt es in sehr vielen Firmen einen Sprachbonus, wenn Du eine zweite Fremdsprache sprichst. Aktuell sind durch den Brexit besonders Deutsche und Franzosen gefragt, da diese zwei Sprachen auf dem britischen Stellenmarkt überwiegen, nun aber nicht genügend Ausländer:innen zur Verfügung stehen. Die Gehälter sind im UK grundsätzlich höher als in Deutschland, was an den Lebenshaltungskosten liegt. Trotzdem hatte ich tatsächlich immer 2/3 meines Gehaltes für mich, was in Anbetracht der hohen Mietpreise in London nicht selbstverständlich ist. Wer geschickt verhandelt und sich gut verkauft, der bekommt das dementsprechende Gehalt.

Ebenso verhält es sich mit Beförderungen und Aufstiegschancen, denn London ist einfach der perfekte Ort, um in Europa Karriere zu machen. Ich bin in meiner vorherigen Firma befördert worden und habe mich danach weiter nach oben beworben, um meine Sales-Karriere voranzutreiben. Heute arbeite ich in einer höheren Position bei einer neuen Firma und werde auch hier alle Angebote annehmen, um mich weiterzubilden und in ein oder zwei Jahren in meine Wunschposition einzusteigen. Leider ist dies bei vielen meiner Freunde in Deutschland nur Wunschdenken, denn Beförderungen werden einfach nicht gern gesehen.

Die Londoner Skyline vom Aldgate East, 2021.

Internationale Freundeskreise

Was mir als Weltenbummlerin natürlich am meisten gefällt, ist die Tatsache, dass in London Menschen aus 200 Nationen leben, die 300 Sprachen sprechen. Heißt auch: mein Freundeskreis könnte internationaler nicht sein! Ich habe Freunde von allen Kontinenten (außer der Antarktis natürlich), die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ich liebe die Tatsache, dass wir alle anders aufgewachsen sind und andere Mindsets haben und somit viel Gutes zum Leben des jeweils anderen zutun können. Ich liebe es, mehr über andere Kulturen zu erfahren und einfach mit Menschen aus anderen Ländern zusammen zu sein. Es ist auch schön zu sehen, wie London all diese Kulturen verbindet und wie wir über diesen Mittelpunkt Großbritanniens auch die Mitte der Welt finden konnten. Es ist schön, dass Englisch uns als Weltsprache verbindet und uns so den Weg freimacht, um in andere Realitäten eintauchen zu können. Und meine Freunde haben alle so tolle Ideen! Samstag äthiopisch essen gehen, im November das indische Diwali-Fest feiern, Shisha im ägyptischen Café rauchen oder zu einer kolumbianischen Tanznacht gehen. Ich hab mega Bock! Natürlich habe ich auch britische Freunde, die mich mit in den Pub nehmen. Internationale Freunde sind einfach der Hammer und diese werden mir am meisten fehlen, wenn ich irgendwann nach Berlin zurückkehren werde.

Mein bunter Freundeskreis aus aller Welt, London 2019.

Neue Bekanntschaften und Freunde warten überall

Apropos Freunde: wer in London nach Menschen sucht, der wird diese wirklich überall finden können. Zwar ist es auch richtig, dass sich einige Menschen einsam inmitten der vielen Menschen fühlen, die sich gegenseitig nicht kennen und die sich für nichts interessieren; jedoch ist es auch möglich, immer und überall neue Menschen kennenzulernen. Niemand muss in London ohne Freunde, Bekannte, Affären oder Partner leben, denn jedes Wochenende kommt jemand Neues hinzu. Oft ist es so, dass Freunde einfach noch jemand anders mitbringen oder dass Freunde einen mit zu einer Gartenparty oder ähnlichem nehmen, sodass neue Kontakte einfach wortwörtlich auf der Couch oder auf dem Liegestuhl sitzen. Auch können viele Kontakt über die Arbeit geknüpft werden, denn viele Arbeitgeber sind riesig groß und international. Es gibt immer Möglichkeiten auszugehen und jemanden kennenzulernen, wirklich! Wem das dann noch nicht genug ist, der kann die vielen Dating-Apps ausprobieren. Über Tinder und Bumble finden sich in Windeseile neue Bekannte, die Bock auf ein Treffen haben. Ich finde es immer wieder schön, wie neue Gesichter auftauchen – so wie auch in Kürze, wenn ich plus eins auf der Gästeliste der Freunde meiner Freundin bin, die am Wochenende eine Hausparty schmeißen. Da alle so offen sind, gehe ich sicherlich mit neuen Instagram-Kontakten oder Telefonnummern nach Hause.

Eine Menschentraube in Soho, London, 2019.

Alles ist möglich, denn alles ist hier

In London kannst Du alles machen, worauf Du Bock hast, denn es wird garantiert immer genau das geben, wonach Du suchst. Schon alleine Restaurants decken alle Länder dieser Erde ab und da hier so viele Nationalitäten leben, haben sich auch allerlei Dinge und Erlebnisse angesiedelt, die es sonst vielleicht so nicht gäbe. Du kannst zum Beispiel jedes Instrument lernen (von Harfen über afrikanische Trommeln bis hin zu indischen Trompeten), jeden Tanz lernen (von orientalischem Bauchtanz über Bollywood-Moves bis hin zu klassischen Volkstänzen aus Südamerika ist alles dabei), alles möglich Kreative machen (backen, Aktmalen, Foodie-Fotografie, Smoothie-Making, Ayahuasca-Zeremonien) und alle Abenteuer erleben, die es so gibt (klettern auf Gebäuden, Schwebedinner, Indoor-Spielplatz, Zombie-Training, Racing Cars und vieles mehr). In London gibt es keine Grenzen, denn es ist alles verfügbar. Sogar buddhistische und hinduistische Tempel, wie dieser auf dem Bild. Dieser buddhistische Tempel steht übrigens im Wimbledon! Du musst also wirklich einfach nur genau gucken, wo was wann angeboten wird, dich anmelden und los geht’s!

Der buddhistische Tempel in Wimbledon, London, 2017.

In London leben: das sind die negativen Seiten
Mietenwahnsinn und House-Share-Zwang

Leider gibt es im UK keine Gesetzte für den Schutz der Mieter:innen. Mietpreise können einfach verlangt werden, wie es einem gerade danach steht. London ist schon seit den 1990ern für eine der höchsten Mietpreise in ganz Europa bekannt – neben Paris, Dublin oder auch Zürich. Dies ist inzwischen ein sehr großes Problem geworden, was in Zukunft die Hälfte der Stadt in den Leerstand versetzen dürfte. Schon heute stehen in einigen Vierteln in Zone 1 und 2 ganze Komplexe leer, weil die Mieten zu hoch sind und die Einheimischen diese nicht bezahlen können. Durchschnittlich legst Du für ein Zimmer in einer House Share 800 bis 1100 Euro inklusive Rechnungen (Internet, Strom, Wasser, Müllabfuhr, Council Tax usw.) hin. Darunter wird es eher schwierig oder eben sehr winzig. Du kannst zwar Box Rooms für 600 Euro im Monat mieten, jedoch passt da dann nur ein Bett hinein und wenn überhaupt noch ein winziger Schrank – das war’s.

Eine eigene Studio-Wohnung oder gar eine Wohnung mit zwei Räumen können sich in London nur Gutverdiener leisten. Es hilft immer, in die Outskirts zu ziehen, jedoch ist das nicht jedermann’s Fall. Wer nah am Zentrum leben möchte, dem bleibt oft nur die House Share mit einem Zimmer für 1000 Euro pro Monat. Leider sind House Shares in London nicht gerade das Gelbe vom Ei, da es einfach ab einem gewissen Alter nicht mit dem Zusammenleben klappt. Viele WGs sind dreckig, die Wohnverhältnisse super eng und Stress mit Mitbewohner:innen ist vorprogrammiert. In gut geführten WGs ist eine Putzkraft in der Miete mitinbegriffen, wenn dies jedoch nicht der Fall ist, wird es ganz schnell eklig. Noch dazu sind viele Häuser und Wohnungen komplett verranzt, alt und schimmelig, da die Vermieter:innen in London nichts renovieren müssen und trotzdem 1000 Euro Miete pro Monat verlangen dürfen. Für viele Menschen sind diese Zustände eine Zumutung, wobei Du Dich auch daran wirklich gewöhnen kannst.

In London ist es darüber hinaus üblich, dass viele Erwachsene noch bei Ihren Eltern wohnen, da es keinen Sinn macht, viel Geld für ein Zimmer auszugeben, wenn eines gratis vorhanden ist. Mit Ende 30 noch bei Mama und Papa zu wohnen, ist ganz normal. Normal, aber schade, da es einfach zum Leben dazu gehört, sich irgendwann auf den Weg zu machen und sein Nest zu verlassen. Viele Londoner:innen erleben dies nur, wenn die Eltern versterben und sie das Haus erben.

Ein wunderschönes altenglisches Haus in Croydon, Greater London, 2020.

Mondpreise im öffentlichen Nahverkehr und UK-Zugnetz

Was einen im UK eventuell überraschen mag ist die Tatsache, dass öffentlicher Nahverkehr ein Vermögen kostet – besonders in London und im Fernbahnverkehr. Zum einen geht es um die konkreten Preise im Londoner Verkehrsnetz. Aktuell gibt es neun Zonen, nach denen abkassiert wird. Ein Tagesticket kostet 14 Euro, jedoch kann es teurer werden, wenn Du weiter raus fährst. Wer denkt, dass ein Monatsticket da bestimmt entgegenkommen würde, der irrt. Monatstickets kosten ein Vermögen! Wer zum Beispiel in Zone 1 arbeitet, aber in Zone 5 lebt, der zahlt pro Monat umgerechnet 285 Euro. Wer in Zone 1 arbeitet und in Zone 6 lebt, der zahlt sogar 350 Euro. Selbst von Zone 1 in Zone 2 werden über 100 Euro fällig. Inzwischen dürfte jeder verstanden haben, warum alle Arbeitnehmer:innen hier so hart auf mindestens drei weitere Homeoffice-Tage bestehen. Du merkst es am Ende vom Monat sehr, wenn Du nicht auf den Nahverkehr angewiesen warst!

Ironischerweise sind Busse und Trams viel günstiger, denn eine Einzelfahrt kostet hier immer 1.75 Euro für den Bus und 1.30 Euro für die Tram. Leider bringt das nicht viel, da die Busse aufgrund des Verkehrs und der Netzführung ewig brauchen und die Trams gibt es nur in wenigen Außenbezirken wie zum Beispiel Croydon. Selbst wenn Du nur zwei Mal die Woche zur Arbeit fährst und zwei Mal am Wochenende unterwegs bist, brauchst Du einfach ein Monatsticket, weil die Kosten auch so explodieren. Beim Monatsticket kannst Du dann wenigstens ohne schlechtes Gewissen hin und herfahren, ohne ständig Deine Oystercard aufladen zu müssen.

Ebenfalls schrecklich am Nahverkehr in London ist die Tatsache, dass das Verkehrsnetz unzureichend betrieben ist. Eine Night-Tube gibt es nur eingeschränkt, aktuell ist sie nicht verfügbar. Heißt also: ab Mitternacht geht es nur noch mit Bussen heim. In Anbetracht der riesigen Fläche Londons kann da eine Heimfahrt über zwei Stunden dauern, worauf keiner Lust hat! Für alles nach Mitternacht gibt es für jeden Londoner und jede Londonerin eigentlich nur Uber, denn keiner hat nach einer Nacht im Pub noch Lust, so lange nach Hause zu fahren. Für eine Weltstadt wie London gehört es sich einfach nicht, keinen ordentlichen Nachtverkehr anzubieten, denn nachts sind ebenfalls Menschenmassen unterwegs, die allesamt das Recht dazu haben, für ihr viel bezahltes Geld auch nachts sicher und schnell nach Hause zu kommen.

Busse im Transport Museum in London, 2019.

Abgesehen vom fehlenden Nachtnetz sind viele Bereiche ungenügend angeschlossen und aufgrund des Zonen- und Anbieter-Flickenteppiches fahren viele Betreiber nur die Routen, die sie sich selber aussuchen – ohne Rücksicht auf Anschlüsse oder steigende Preise. Es gibt sogar Bahnanbieter auf speziellen Strecken von London, die nirgendwo informieren, dass sie höhere Preise verlangen, weil die Strecken „Premium“ sind. Ich bin mal mit einem Zug von King’s Cross nach London Bridge gefahren und musste für eine vier Minuten Fahrt sechs Euro (!) zahlen. Sowas gehört einfach verboten!

Leider sieht es im gesamten UK ähnlich aus: Fahrten mit der Bahn sind unbezahlbar. Wer von London nach Schottland und zurück möchte, der zahlt 350 Euro für ein Bahnticket – ungelogen! Selbst winzige Entfernungen kosten ein Vermögen: London – Stansted: 25 Euro pro Fahrt (und Du musst noch zum Bahnhof kommen, ab dem der andere Anbieter regiert, somit zahlst Du nochmal 10 – 14 Euro drauf je nach Lage), London – Liverpool: 60 Euro pro Fahrt, London – Reading 25 Euro pro Fahrt, London – Newcastle 300 Euro. Damit ist klar: Autofahren und fliegen sind die günstigsten Optionen. Selbst Mietwagen sind billiger als der öffentliche Nahverkehr. Ich bin in den letzten 4.5 Jahren im UK nur zwei Mal Fernbahn gefahren: nach Rugby, weil dort kein Bus vorbeifuhr und nach Reading, weil der Bus zu lange gebraucht hätte für meinen Daytrip zur Bachelorette-Party einer Freundin. Ich bin immer noch erschüttert, wie viel Geld ich hier in den Rachen der gierigen Bahnbetreiber geworfen habe.

Nun noch die brennende Frage: warum ist der Nahverkehr in London und im UK so teuer? Weil die Bahn hier privatisiert ist und es super viele Anbieter gibt, die ihre Mondpreise durchdrücken können. Dagegen kann auch kein Verbraucherschutz etwas machen, da das Gesetz diesen ausgehebelt hat. Boris Johnson hat jedoch angekündigt, dass ab 2023 die Privatisierung aufgehoben wird, um den Bürger:innen zu helfen und auch etwas zum Umweltschutz beizutragen. Wer nämlich aufgrund astronomischer Nahverkehrspreise lieber Auto fährt oder Flugzeug fliegt, der kann nicht zu einer besseren Welt beitragen. Ab 2023 wird es nur noch die Britische Railways geben, welche die Preise an ein normales Level anpasst, damit mehr Menschen in Zukunft Bahn fahren können.

London Central in der Weihnachtszeit, 2019.

Umweltsünder UK

Bestimmt hast Du davon noch nichts gehört, aber der UK ist wirklich ein Schlusslicht in Sachen Umweltschutz. Dies fällt einem auch erst richtig auf, wenn hier länger gelebt wurde, denn es muss genauer hingesehen werden. Zum einen gibt es im UK kein richtiges Recycling. Zwar werden separate Tonnen für Papier, Plastik, Bio und Restmüll abgeholt, doch der Restmüll ist das große Problem. Hier wird einfach alles zusammengeworfen: Dosen, Glasflaschen, Leichtplastik (was offiziell nicht in den Plastikmüll gehört) und alles andere, was nicht in die anderen Kategorien passt. So ganz effizient ist das nicht.

Des Weiteren sind die Häuser im UK ein riesiges Problem, was dringend angegangen werden müsst. Was jeder wissen dürfte ist, dass britische Häuser nicht isoliert sind, da auch nach Jahrzehnten der Modernisierung des Lebens immer noch niemand darauf gekommen ist, dass dies wichtig wäre, um die Heizkosten und den Verbrauch zu senken. Keine Isolierung bedeutet: wenn es draußen 10 Grad sind, dann sind es bei mir im Zimmer ohne Heizen 12 Grad. Maximal zwei Grad kann der Raum beibehalten, ansonsten fällt die Temperatur sofort auf die Außentemperatur. Leider ist das auch so, wenn Du die Heizung ausmachen willst: nach zwei Stunden ist der Raum so kalt, dass Du mit Jacke sitzen musst – oder wieder heizen musst. Die Heizungen im UK laufen dauerhaft über Monate, da die Wärme einfach austritt. Kälte kann an den Wänden und an den Fenstern gefühlt werden, da es regelrecht zieht.

Eine vermüllte Tube in London, 2018.

Damit einhergehend sind die Fälle von Schimmel, die sich durch kaltes und feuchtes Mauerwerk ergeben. Jedes Haus schimmelt im Frühling, Herbst und Winter und Schwarzschimmel ist ganz normal. Es gibt sogar Sprays und Schimmelkits für jedermann zu kaufen, denn viele Einheimische wissen gar nicht, wie gefährlich Schwarzschimmel ist und dass dieser eigentlich professionell entfernt werden müsste. Hier wird ohne Handschuhe und Atemschutz einfach gesprüht und dann darüber gerubbelt – und das mehrmals im Jahr. Ein Haus ohne Schimmelbefall habe ich noch nie gesehen und damit musst Du einfach leben.

Außerdem problematisch sind die ungefilterten Dinge, die aus einem Haus rauskommen. Hier geht es nicht nur um Dampf und CO2-Gase, die durch ein Loch in der Wand einfach austreten, sondern auch um dreckiges Wasser aus der Dusche, Spülmaschine (wenn dann eine da ist, die Briten:innen haben so gut wie nie eine) und Waschmaschine. An meinem Haus tritt das schwarz-perlfarbene Wasser aus der Waschmaschine einfach durch ein Loch am Boden aus und sickert in den Garten – ungefiltert natürlich. Oft kannst Du auch hören, wenn Deine Nachbarn duschen, denn das Wasser ergießt sich schwallartig aus dem Nebengebäude auf den Boden. Das ist einfach richtig krass wie ich finde und dies sollte in einem erste-Welt-Land nichts zu suchen haben.

Leider ist auch Plastik ein riesiges Problem, denn alles ist in Plastik verpackt und beim Einkaufen gibt es Papiertüten nur bei Whole Foods, wo nur sehr wohlhabende Menschen einkaufen können. Alles ist extra verpackt und vieles wird auch einfach nach dem Benutzen in die Umwelt geworfen. Müll auf dem Boden ist im UK so normal wie bei uns Bio-Produkte kaufen zu wollen. Apropos Bio: Bio ist hier überhaupt kein Thema. Bei Whole Foods ja, aber in normalen Supermärkten nicht. Es gibt nur eine winzige Auswahl an Bio-Produkten bei Obst und Gemüse, das war es. Die Briten:innen scheren sich einfach nicht drum.

East London am späten Abend, 2020.

Fahrtzeiten und Größe der Stadt

London ist eine riesige Stadt. Die durchschnittliche Fahrzeit beträgt immer eine Stunde. Wenn ich mal „nur“ 40 oder 45 Minuten brauche, ist das ein absoluter Grund zur Freude! Besonders anstrengend kann die Größe der Stadt sein, wenn es um Freundschaften geht. Wenn jemand über eine Stunde mit den Öffis entfernt wohnt, ist es schwierig, den Kontakt aufrechtzuerhalten – es sei denn, es wird sich immer in Central verabredet, denn das ist immer quasi die goldene Mitte. Ansonsten kann sich half way getroffen werden, jedoch bedeutet das meistens auch immer eine Stunde Fahrt. Dies betrifft übrigens auch den Arbeitsweg, denn eine Stunde zur Arbeit zu fahren – also zwei Stunden pro Tag – ist normal. Ich brauche aktuell „nur“ 35 Minuten von Tür zu Tür, was wahrer Luxus ist, weil es so kurz ist und die Zugverbindung ein direkter Schnellzug ist. Wenn ich heute dran denke, wie schnell ich in Berlin überall war, kommt mit meine Heimat vor wie ein Kuhdorf.

Ein Hindu-Tempel neben britischen Häusern in East London, 2018.

Alles kostet extra

Was am Leben in London auch nervt ist die Tatsache, dass alles extra kostet. Wenn etwas mal nichts extra kostet, fällt dies sofort auf oder wird kritisch als Betrug beäugt. Fangen wir zunächst mit einer guten Sache an: Leitungswasser ist im UK immer gratis: Restaurants, Pubs und andere Läden müssen Wasser immer kostenfrei herausgeben – auch, wenn Du einfach nur an einem warmen Sommertag vorbeiläufst und riesigen Durst hast, aber kein Geld ausgeben willst. Du kannst einfach zum Tresen gehen und Dir wird Wasser eingeschenkt. Für ein Erste-Welt-Land sollte dies Standard sein, wie ich finde. Niemand sollte durstig sein bei der ganzen Verschwendung von Getränken und Lebensmitteln!

Was auch ganz nett ist, ist die Tatsache, dass im UK in vielen Gegenden (auch in Gegenden in London) ab Samstagnachmittag über den ganzen Sonntag kostenfrei geparkt werden kann. Ebenfalls kostenlos sind die großen Museen in Central wie etwa das Naturkundemuseum. Das war es dann aber auch schon mit den Zugeständnissen, denn alles andere kostet immer extra Geld. Egal ob Haustiere in Wohnungen, Eintrittsgebühren für ein Lavendelfeld, Eintrittsgebühren für einen Friedhof oder Preise, die sich nach Peak- und Off-Peak-Zeiten oder nach Wochentagen richten – alles muss extra bezahlt werden. Sogar die Sahne auf dem überteuerten Coffee To Go. Irgendwann gewöhnen sich alle dran, die in London leben, doch das nicht inzwischen schon eine Gebühr auf das Atmen eingerichtet wurde, ist wirklich höchst verwunderlich!

Polly im Lavendelfeld nahe London, 2020.

Ein normales Leben ist hier schwer möglich

Eine größere Wohnung mieten, ein Haus kaufen, eine Familie gründen, Haustiere haben oder in der Nähe der Arbeit wohnen? Hört sich an wie ganz normale Lebensträume, die sich jeder Mensch auf der Welt erfüllen können sollte, besonders in der ersten Welt, in der wir leben. Leider sind diese Träume in London nur mit sehr viel Geld erreichbar. Eine Wohnung mit drei Zimmern, die für zwei Erwachsene und ein Kind geeignet wäre, kostet in London ungefähr 2500 Euro ohne Nebenkosten und andere Rechnungen on top. Ungefähr, weil die Wohnungen ab 2500 Euro beginnen, wobei ein „normaler“ Mietpreis bei über 3000 Euro pro Monat liegt. Hauspreise für diese Größe beginnen ab 950.000 Euro, wobei der „normale“ Kaufpreis bei 1-2 Millionen Pfund liegt.

Auch eine Familie ist ein schwieriges Thema in London, da Krippe und Kindergarten nicht kostenlos sind, beide Eltern aber arbeiten müssen, um die hohen Mieten zu bezahlen. Ein durchschnittlicher Kindergartenplatz in London kostet über 2000 Euro pro Monat (!), was das Vorhaben „Kind“ unmöglich für Menschen mit normalem Einkommen macht. Zur Familienerweiterung können auch Haustiere geplant werden, doch auch dies ist in London nicht einfach. Erstens finden sich kaum Wohnungen, die Tiere erlauben. Wenn es doch mal welche gibt, dann wird pro Haustier abkassiert: bis zu 350 Euro pro Monat (!) wird zum Beispiel für einen Hund verlangt. Ab und an ist diese Gebühr schon in den höheren Mieten eingepreist. Bei den Aussichten ist es für Normalverdiener nicht möglich, sich diesen Wunsch zu erfüllen.

In der Nähe der Arbeit wohnen geht auch nicht, da die Mietpreise in Central wie die Skyline den Himmel berühren. Ein Zimmer in Zone 1 kostet durchschnittlich 1000 Euro im Monat, eine Zweiraumwohnung 3000 Euro ohne Nebenkosten und eine normale Familienwohnung schlägt mit 5000 – 6000 Euro pro Monat ohne Rechnungen zu Buche. Ein normales Leben in London zu haben, ist eben nur etwas für Reiche oder für Leute, die sich in den 1980ern hier Häuser gekauft haben, als die Preise noch moderat waren. Junge Leute mit Häusern, Familien oder Haustieren werden hier kaum angetroffen, da dies einfach nicht finanzierbar ist.

Ein Rolls Royce in Central London, 2021.

Leben in London: mein Fazit

Trotz der Pro’s und Con’s ist zu bemerken, dass das Leben in London nicht unmöglich ist und trotzdem super sein kann! Wer gut gebildet ist, seinen Marktwert kennt und ein gutes Gehalt ausgehandelt hat, der kann hier viel Spaß haben – bis die Zeit gekommen ist, wo wir mehr häuslich werden wollen. An diesem Punkt verlassen die meisten Briten:innen und Ausländer:innen die britische Hauptstadt, um ein normales Leben haben zu können. London verbindet High Life und Low Life und ich bereue es keine Sekunde, dass ich hier wohne – auch, wenn es nur auf Zeit ist. Die Cons sind irgendwann auch egal, da viele Dinge hier einfach nicht so ganz ernst genommen werden. Dann zahlen wir eben 1000 Euro für ein Zimmer, das jeden Herbst und Winter schimmelt. Whatever! Hauptsache, ich war und bin hier. Denn ohne London wäre ich niemals die Person geworden, die ich heute bin! 

 

Hast Du mal in Großbritannien gelebt?

 

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