Drei Backpacker wandern in Richtung Gletscher.

Um 7:00 Uhr klingelt der Wecker. Duschen, Frühstück, ab zur Arbeit. Acht Stunden Leben überspringen, nach Feierabend einkaufen, kochen und dann ins Koma fallen. Fünf Tage die Woche, mit nur zwei Tagen frei, mit maximal 30 Urlaubstagen im Jahr, in denen wir ganz bestimmt keine Weltreise machen können. Die Wochenenden sind meist viel zu kurz, um uns von der unausbalancierten Arbeitswoche mit viel zu wenig Zeit für uns selbst, noch irgendetwas zu unternehmen. In der freien Zeit reparieren wir uns, um wieder für die Arbeit zu funktionieren, aber erholt sind wir nicht. Hohe Mieten insbesondere in Großstädten, Autos, Verträge und materieller Besitz ketten uns nun wieder an unseren Job – wir können nicht gewinnen. Platz für die eigenen Lebensträume bleibt eigentlich nicht, schon gar nicht zum Reisen. Kein Wunder, dass sich mehr und mehr Leute unserer Generation Y entscheiden auszusteigen. Begrenzt auf ein paar Jahre oder unbegrenzt so lange, wie es unser Freiheitsdrang will. So ging es auch mir und im Aussteigen habe ich meine Antwort gefunden. Beruhend auf meinen eigenen Erfahrungen habe ich Dir daher in diesem Artikel zusammengestellt, was Du durchdenken solltest, bevor Du aussteigst.

Volle Akzeptanz zur Aufgabe des alten Lebens

Für mich war 2015 mit dem erfolgreichen Abschluss meines Studentenlebens klar, dass ich keinesfalls in die 9-to-5-Tretmühle einsteigen will. Bereits mit 14 Jahren hatte ich mich nach intensiver Beobachtung der Erwachsenenwelt und der ernüchternden Antwort auf die Frage, warum Erwachsene so unglücklich sind und wenig Freude am Leben haben, gegen das Hamsterrad entschieden und für ein alternatives Leben mit vielen Reisen und dem Berufsbild der Selbstständigen. Irgendwas mit Schreiben halt. Meine Studentenjobs und Praktika schreckten mich noch mehr von dieser Welt ab, zu der ich nicht gehören wollte. Doch mir war klar, dass ein Ausstieg aus der Gesellschaft, der nicht für jeden erstrebenswert ist, auch Anforderungen kommen werden, die ich nur aufgrund meines nicht ganz so gängigen Lebenswunsches habe. Bei denen mir niemand helfen kann. Bevor ich also aussteigen kann, muss ich bestimmte Dinge erreicht haben, um von einer soliden Basis aus agieren zu können. Vor allem, wenn es um die Themen Dauerreisen und Digitales Nomadentum geht; wenn über Aussteigen gesprochen wird, ist es wichtig, ein bisschen vorauszuplanen.

Die chinesische Mauer bei Peking 2016.Nicht nur träumen, sondern machen: warum nicht mal in China leben und über die Mauer spazieren?

Zum einen ist es notwendig sich bewusst zu machen, was es bedeutet, auszusteigen. In erster Linie bedeutet Aussteigen, dass sämtliche, gewohnte Strukturen wegbrechen, die Dir Dein Leben unangenehm, aber auch angenehm gemacht haben: keine Probleme mit Mieterhöhungen und Gentrifizierung bedeutet auch, keinen Wohnsitz mehr zu haben. Keine Erschöpfung durch zu viel Arbeit in einem Job, den Du nicht magst, bedeutet auch, kein regelmäßiges und somit sicheres Einkommen mehr zu haben. Kaum noch Möbel und wenig Materielles zu besitzen, bedeutet auch, dass Du plötzlich voll und ganz mit Deinem Ich und Deiner Seele konfrontiert wirst. Unendliche Freiheit und jahrelanges Reisen bedeutet auch, dass Du Freunde und Familie zurücklassen musst und oftmals auch Freunde verlieren wirst. Ist der Wunsch nach dem Ausstieg nach diesen Gedanken immer noch riesig groß, ist genau das Dein Weg zum Glück.

Solide Basis von fertiger Ausbildung und klarer Berufsvision

Bist Du noch mitten im Studium oder in der Ausbildung? Klasse! Denn leider erst der Abschluss Deiner Ausbildung ist Deine Basis in einen geglückten Ausstieg aus Hamsterrad und aus der Gesellschaft. Leider sind die meisten von uns nicht reich und werden es auch niemals sein, daher wird Geld verdienen zum Lebensunterhalt für immer ein Thema sein, welches auch für Aussteiger*innen nicht einfach umzuwerfen ist. Ein alternatives Leben fernab der Gesellschaft bedeutet nämlich auch, dass ich weder mit den schlechten Seiten (Konsum, Hamsterrad, fehlende Work-Life-Balance), noch aber mit den guten Seiten (Sozialeinrichtungen, Auffangnetz, finanzielle Hilfe vom Staat) in Kontakt komme, da ich meist aus Deutschland abgemeldet sein muss, um mich zu 100% von allen Rechnungen zu schützen.

Der Chhatrapati Shivaji Maharaj Bahnhof in Bombay 2013.Nicht etwas für jeden, aber Indien ist eines der günstigsten und wohl aufregendsten Länder der Welt.

Habe ich also kein soziales Netz, was mich auffangen kann, bin ich in meiner Freiheit auch zu 100% für mich selbst verantwortlich. Daher ist es unabdingbar, eine abgeschlossene Ausbildung als Qualifikation vorweisen zu können. Egal ob Handwerker*in oder Akademiker*in, ohne ein Zertifikat in der Hand ist es überall schwer, Fuß zu fassen. Wir müssen schließlich auch auf Reisen Geld verdienen – und dank Work and Travel und gängiger Arbeitsvisa oder der Arbeitnehmer-Freizügigkeit in der EU können wir uns so einfach wie nie in fremden Ländern auf Zeit einquartieren. Wer seine Ausbildung fertig hat, der muss sich auch nach Ausstieg auf Dauerreise nicht mit dem quälenden Gedanken herumschlagen, wie lange das alles noch gut geht und ob nicht doch besser der Rückzug nach Deutschland sinnvoll ist, um Qualifikationen zu erlangen.

Neben der abgeschlossenen Ausbildung ist es ebenfalls ganz wichtig, eine klare Berufsvision zu haben. Ich persönlich habe Philosophie und Geschichte studiert – Fächer, in denen von Anfang an klar sein sollte, was der Berufswunsch ist, da es sehr einfach ist, verloren zu gehen und irgendwo zu stranden, wo ich gar nicht sein will. Ich weiß, dass es hart sein kann, seinen endgültigen Beruf früh zu definieren, jedoch ist dies vor einem Ausstieg mit Dauerreise notwendig. Ich kann mich grob orientieren: aus irgendwas mit Medien kann Mediengestalter*in, Grafikdesigner*in oder Fernsehmoderator*in werden. Wer weiß, wohin er oder sie geht, der kann sich im Vorfeld mit Extraqualifikationen wie Praktika oder für einen selbst sinnvolle Weiterbildungen schulen.

Nachdem ich 2016 beschlossen hatte, dass ich keine Weltreise auf Zeit machen, sondern dauerhaft rund um die Welt leben möchte, wurde mir nach und nach klar, dass ich meine beruflichen Zukunftsvisionen umsetzen muss. Ich habe das Glück, momentan mietfrei und länger als geplant mit meinem Partner in London zu leben, sodass ich mich gerade jetzt um alles kümmern kann. Ich habe jetzt noch ein Jahr und drei Monate Zeit, um alles einzutüten, bevor es über Indien und Thailand für eineinhalb Jahre nach Neuseeland geht, wo ich ganz sicher nicht mehr so gut fokussieren kann, wie jetzt. Auf Reisen möchte ich auch irgendwie nur im Moment leben und nicht an meiner Selbstständigkeit feilen. Daher gilt: erst abschließen und dann gehen. Dies ist die beste Lösung für alle, die einen sorgenfreien Ausstieg generieren möchten.

Das Schloss von Trim in Irland 2017.Dank EU-Freizügigkeit einfach mal in Irland wohnen und alte Schlösser entdecken? Kein Problem.

Möglichkeiten erkennen: Work and Travel und Work Visa

Nachdem Dein Mindset auf den Ausstieg programmiert und Du auch beruflich qualifiziert bist, kannst Du Dich jetzt um das Thema Umsetzung kümmern. Willst Du jahrelang ohne festen Wohnsitz rund um die Welt reisen und mal hier und mal dort leben, ist es notwendig zu wissen, welche Möglichkeiten Du hast, legal im Land zu bleiben und zu arbeiten. In der EU ist das kein Problem, da mit einem europäischen Pass überall gelebt und gearbeitet werden kann. Für viele Länder, die auf anderen Kontinenten liegen, eignet sich Work and Travel. Nicht nur Australien und Neuseeland, sondern auch Kanada oder Japan bieten diese Visa an, die meistens bis 30 Jahren, maximal bis 35 Jahren gelten. Für alles danach gibt es normale Arbeitsvisa, die je nach Land unterschiedlich schwer oder leicht zu bekommen sind. Für Amerika musst Du Dir schon ein Bein ausreißen, für Südafrika geht es sicherlich etwas leichter. Hier helfen Dir wieder alle Qualifikationen, die Du im Vorfeld gesammelt hast – selbst, wenn Du unterwegs in einem Job unter Deiner Qualifikation arbeiten möchtest. Die Erlangung der Visa sind ein weiterer Schritt in Deinen Ausstieg mit Dauerreisen.

Finanzielles Polster: Besitz verkaufen und sparen

Seitdem ich Zuhause ausgezogen bin, arbeite ich regelmäßig. Neben dem Studium in Minijobs, die nicht mehr als 450€ erlaubt haben, mir jedoch Zeit für meinen Zweitjob als Model gelassen haben, wo auch immer mal wieder etwas herumgekommen ist. Alles, was ich heute habe, habe ich mir selbst hart erarbeitet. Seitdem ich 2004 beschlossen hatte, allein durch die Welt zu reisen, da ich sonst keine andere Möglichkeit dazu haben würde, habe ich eisern gespart und Besitz verkauft, den ich nicht brauchte. Schon zu Schulzeiten habe ich Nachhilfe gegeben, damit ich mir irgendwie neben dem Taschengeld einen Städtetrip in Europa oder Deutschland leisten konnte. Reisen ist zwar nicht teuer, jedoch wollte ich so viel auf einmal sehen, dass ich ein kleines, finanzielles Polster brauchte, um weiterzukommen.

Die Flinders Ranges in Australien 2016.Das wohl gängigste Ziel für Langzeitreisen ist immer noch ein Work and Travel Jahr in Australien. 

Oftmals habe ich in meinem Studium Leute getroffen, die es nicht verstehen konnten, wie ich so viel und oft reisen konnte. Sie dachten, ich stamme aus einer reichen Familie, die mir alles ermöglicht. Irrtum! Meine Antwort war simpel: einen festen Nebenjob haben, regelmäßig hingehen, keine Stundenkürzungen hinnehmen und akribisch jeden Monat 450€ heranschaffen. Kein Kater, kein Burnout und kein Abfuck über den Job haben es jemals zugelassen, dass ich nicht auf Arbeit war, obwohl ich meine Nebenjobs alle hasste. Die Gewissheit, jeden Monat Geld für Reisen zurückzulegen, war viel befriedigender als das Gefühl, nie mehr zu meinem ätzenden Job zu gehen. Somit war es kein Wunder, dass ich mir immer jede Reise leisten konnte und im Endeffekt auch Geld für meinen Ausstieg ansparen konnte, doch das ist nur die eine Seite der Medaille.

Minimalismus und Besitzupdate als Sparmaßnahme

Die andere Seite der Medaille ist ein minimalistischer Lebensstil, den ich pflege, seitdem ich zu meiner Weltreise aufbrach, die in den Wunsch nach einem dauerhaften Leben rund um die Welt mündete. Seit zwei Jahren habe ich nichts mehr außer das, was in meinen Backpack und meinen kleinen Rucksack herein passt. Alles, was nicht passt, muss weg – es wird also auch nicht einfach irgendetwas ohne Nachdenken gekauft, da ich mich mit dem Gedanken stressen muss, dass es nicht in den Rucksack passt und somit sowieso in Kisten vergammeln wird. Vor jedem Kauf überlege ich, ob ich den Gegenstand wirklich brauche. Meistens ist dem nicht so. Und nachdem ich alle Kisten durchsuchen musste, die in meinem alten Kinderzimmer stehen, weil mein Ex-Partner noch Sachen da drin hatte, war ich ganz erschrocken, wie viel Zeug ich habe, was ich überhaupt nicht brauche – und das, obwohl ich jahrelang nicht besonders viel angehäuft hatte und mir neben Reisen, Events und einmaligen Erlebnissen eigentlich gar nichts gegönnt habe.

Was ich jedoch im Zuge des wenig verbliebenen Besitzes, den wir Dauerreisenden haben, für sinnvoll erachte, ist ein spezifiziertes Update der eigenen Dinge, die schon da sind. Da meine Klamotten seit Reisebeginn aufgrund verschiedener Umwelteinflüsse, die wir in der ersten Welt nicht haben, super schnell kaputtgingen, habe ich mir jetzt die Dinge, die ich neu brauchte, mit qualitativ besseren Kleidungsstücken ersetzt. Meine alte Kamera und Laptop waren ebenfalls komplett im Eimer und keine guten Investitionen gewesen, also habe ich etwas mehr Geld in die Hand genommen, um mir etwas zu leisten, was auch Jahre überdauern kann – und nicht nur sechs Monate. Auch die Dinge, die ich bereits habe und auf die ich bauen möchte, habe ich geupdatet: mein Handy, welches ich schon seit drei Jahren habe und auch nicht ersetzen möchte, weil es super ist, bekommt hin und wieder einen neuen Bildschirmschutz aus Hartglas, damit ich eine etwaige, viel zu teure Reparatur des Bildschirms im Falle eines Herunterfallens einsparen kann. Somit gewährleiste ich, dass das wenige Zeug, was ich habe, hält und mir nicht schon nächstes Jahr eine fiese Stolpergeldfalle legt.

Das Kolosseum in Rom 2011.Wobei eine Zeit in Italien leben ja auch etwas für sich hat, bei dem schönen Rom… 

Sich selbst kennen und wissen, was Du brauchst

Dieser Punkt ist nicht ganz einfach. Viele von uns finden sich erst auf Weltreisen, Work and Travel Jahren oder nach dem Aussteigen aus einem Leben, das wir nicht wollen. Oftmals nimmt dieses alte Leben so viel Platz in unserem Kopf ein, dass wir auch neben Arbeit und dem Alltagstrott zwar merken, dass wir so nicht mehr wollen, aber auch nicht wissen, was wir stattdessen wollen. Um zu wissen, wer Du bist, brauchst Du Headspace. Und der entsteht nicht zwischen 9-to-5, sondern mit Muße, neuen Eindrücken und Erlebnissen, die Dir plötzlich die Augen öffnen.

Dennoch schadet es nicht, schon vor dem Ausstieg mal in sich hineinzuhorchen, um zu verstehen, was Du genau brauchst. Meist sind wir ja nicht völlig betriebsblind: ich wusste zum Beispiel schon immer, dass ich gerne reise und meine Freiheit an oberster Stelle steht, aber ich wusste nicht, dass ich bereit bin, alles hinter mir zu lassen, weil diese Wünsche so stark sind. Das habe ich erst auf Reisen gelernt. Jedoch wusste ich, dass ich gern an Orten bin, die tropisch warm sind, wo ich als Buddhistin in Tempel gehen kann und dass ich gern außerhalb der westlichen Welt bin. Wer solche kleinen Anhaltspunkte findet, der wird nach dem Ausstieg wissen, wohin mit sich. Denn die ersten Monate dienen auch als Auffangbecken für all die Ängste und all den Stress, der sich löst, wenn Du nicht mehr arbeitest und nicht in einem Leben gefangen bist, was Du gar nicht magst. Die ersten sechs Monate sind hoch emotional, daher ist es besser, wenn Du vorher weißt, dass Dich hohe Lebenshaltungskosten in Australien mehr stressen als kein Klopapier in Indien.

 

Was würdest Du beim Aussteigen noch berücksichtigen?

Deine

Noch mehr Inspiration und Mut findest Du hier:

Später ist heute: warum du reisen solltest, wenn Du jung bist

Nur für Reiche? Warum Reisen nicht so teuer ist, wie Du denkst

Alle Zelte abreißen – eine Anleitung für Jahre außerhalb der Zeit

 

Hinweis: Das Titelbild stammt von Pixabay.

Kommentare:

  • 20. September 2020

    Hallo, also ich bin seit Mai 2018 aus Deutschland ausgewandert und Lebe in der Türkei. Mir war das Wetter sehr wichtig und so nah wie möglich am Meer leben. Die Luftfeuchtigkeit ist hier auch am geringsten.
    Grüße
    Serdar

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